- A. Idee, Bedürfnis und Realisierung von Offenheit („Openness“)
- B. Anfängliche Skepsis
- C. Auswirkungen auf die Gesetzgebung
- D. Zum Charakter des vorliegenden Werkes als Kommentar
1 Mit Fug und Recht lässt sich sagen, dass das Urheberrecht auf die Entwicklung der Kopier-, Speicher- und Kommunikationstechnologie ebenso reagiert wie auf die Verschiebung wirtschaftlicher Kräfteverhältnisse, die mit diesen Veränderungen verbunden sind. Schon die Entstehung des Urheberrechts lässt sich als – wenn auch verspätete – Reaktion auf die Erfindung der Druckerpresse deuten, mit der sich Texte in zuvor nicht bekanntem Umfang vervielfältigen ließen. Gleiches galt für Bilder mittels Holzschnitt und Radierung. Auf die Demokratisierung der Vervielfältigungsgerätschaften im 20. Jahrhundert hat das Urheberrecht dann mit der Einführung gesetzlicher Vergütungsansprüche reagiert und dabei das Ausschließlichkeitsrecht in Teilen zugunsten der Sicherstellung einer Vergütung der Urheber hintangestellt.
2 Als größte Herausforderung erwies sich jedoch die Digitalisierung. Diese hatte zur Folge, dass Handlungen, die zuvor – wie das Lesen eines Buches, also das Erfassen von dessen Inhalt – urheberrechtsfrei waren, fortan dem ausschließlichen Vervielfältigungsrecht unterfielen, weil im Digitalen jede Nutzung rein technisch mit Vervielfältigungsprozessen verbunden ist. Besonders problematisch war das bei Computerprogrammen, versperrte der proprietäre Code dort doch den Zugang zu den an sich ungeschützten, dem Programm zugrunde liegenden Ideen. Aber auch die kreativen Nutzungen fremder Werke, die erst durch digitales Cut & Paste in größerem Umfang möglich wurden, standen dem Urheberrecht entgegen. Hinzu kam die Zeitschriftenkrise, die das Finanzierungsmodell wissenschaftlichen Publizierens zunehmend fragwürdiger erscheinen ließ. Von einem Instrument zur Sicherstellung der Produktion und Verbreitung geistiger Werke drohte das Urheberrecht auf diesen Gebieten in sein Gegenteil umzuschlagen.
A. Idee, Bedürfnis und Realisierung von Offenheit („Openness“)
3 Die Reaktionen der Beteiligten auf diesen grundlegenden Wandel waren gegensätzlicher Natur. Fühlten sich Rechtsinhaber auf der einen Seite in ihren Kontrollinteressen beeinträchtigt, wurde auf der anderen Seite der Ruf nach offenen, urheberrechtsfreien Räumen immer dringlicher. So schrieb Richard Stallman von der Free Software Foundation (FSF) Anfang 1989 die GNU General Public License (kurz GPL), eine echte Copyleft-Lizenz, die sich des gesetzlichen Urheberrechts bediente, um eine de facto urheberrechtsfreie Zone zu schaffen. Der „Trick“ bestand darin, Nutzern eine umfassende unentgeltliche nicht-ausschließliche Nutzungslizenz einzuräumen, die jedoch durch die Verpflichtung auflösend bedingt ist, eigene Software, in der unter der GNU lizenzierte Bestandteile verbaut sind, wiederum nur unter der GNU-Lizenz weiterzugeben. Nur wenig später, im Jahr 1991, hatte Paul Ginsparg am Los Alamos National Laboratory (LANL) damit begonnen, Physik-Artikel zu archivieren und nachfolgend mit dem Open Access Preprint Archiv „arXiv.org“ den Grundstein für die Open-Access-Bewegung und alle nachfolgenden Open-Access-Repositorien gelegt. Und schließlich gehört in diese Reihe auch die 2001 von Lawrence Lessig, seinerzeit Professor an der Stanford Law School, gegründete Creative Commons-Initiative. Ihr Ziel war die Schaffung eines allgemein zugänglichen Fundus schöpferischer Werke zur zur möglichst freien Weiterverwendung.
4 Um dieses Ziel zu erreichen, übernahmen die Creative Commons-Lizenzen einerseits den Gedanken einer vertraglich abgesicherten Urheberrechtsfreiheit. Andererseits wählten sie mit ihrem Ansatz des „some rights reserved“ einen Mittelweg zwischen dem „no rights reserved“ echter Copyleft-Lizenzen und dem „all rights reserved“ des klassischen Urheberrechts. Vor allem aber stellte Creative Commons den Verwendern von Creative Commons-Lizenzen eine begrenzte und mithin übersichtliche Anzahl standardisierter Lizenzbedingungen zur Auswahl. Diese liegen überdies in drei Schichten vor: als juristischer Vertragstext, in einer auch für Laien verständlichen Kurzform und schließlich in Form eines digitalen Codes, so dass Werke, die unter einer Creative Commons-Lizenz stehen, im Netz auch als solche gefunden werden können. Im Gegensatz zur früheren Praxis, bei der individuelle Nutzungsbedingungen entweder in einer umfassenden Datenbank gespeichert oder aber in einem digitalen Header dem betreffenden Werk hinzugefügt wurden, macht sich Creative Commons die durch das Internet eröffnete Möglichkeit einer zentralen Speicherung der Lizenzbedingungen zunutze, auf die im Zusammenhang mit dem jeweiligen Werk lediglich durch eine Reihe recht einfach gestalteter Icons verwiesen wird, die jeweils für die einzelnen Bausteine der Lizenzen stehen. Da alle Lizenzen eine kostenlose Nutzung vorsehen, bedarf es schließlich anders als zuvor keines darüber hinausgehenden Kontaktes zwischen Urheber und Nutzer. All das dient dem Bedürfnis nach rechtlich abgesicherten Rahmenbedingungen für die Nutzung und Weiterverwendung der unter Creative Commons-Lizenzen zur Verfügung gestellten urheberrechtlich geschützten Werke.
5 Zu Beginn waren die Creative Commons-Lizenzen ganz auf das US-amerikanische Copyright zugeschnitten. Das hatte den Nachteil, dass einige der Klauseln – wie der komplette Haftungsausschluss – mit nationalen AGB-Vorschriften nicht vereinbar waren. Daher suchte die Creative Commons-Organisation die Bestimmungen nachfolgend für jedes Land gesondert an die Besonderheiten der einzelnen nationalen Urheberrechtsgesetzgebungen anzupassen. Aber auch das erwies sich als wenig praktikabel, führte es doch zusammen mit den unterschiedlichen Versionen der Lizenzen angesichts der Zurverfügungstellung über das international zugängliche Internet zu kaum lösbaren Problemen des internationalen und intertemporalen Privatrechts. Aus diesem Grund entschied sich die internationale Creative Commons-Community mit der Version 4.0 dann wiederum für eine internationale Fassung der Lizenzbedingungen, deren Bestimmungen vorliegend in ihrer offiziellen deutschen Übersetzung kommentiert sind.
B. Anfängliche Skepsis
6 Die Einführung der Creative Commons traf anfangs nicht auf ungeteilte Zustimmung der Urheberrechtsgemeinschaft.
7 Viele Urheberinnen standen dem Modell der Creative Commons zunächst skeptisch gegenüber, befürchteten sie doch, das Prinzip der freien Nutzung und Weiterverbreitung geschützter Inhalte könnte die gesetzlich garantierten Ausschließlichkeitsrechte aushöhlen und zu einem Rückgang der Zahlungsbereitschaft der Verwerter führen. Ein Nachklang dieser Skepsis findet sich noch im Jahr 2006 in einer Resolution der renommierten internationalen Urheberrechtsvereinigung ALAI (Association littéraire et artistique internationale), in der das System der Creative Commons zwar nicht mehr als solches zurückgewiesen, wohl aber eindringlich vor dessen „negativen“ Folgen (keine Vergütung, Verlust der Möglichkeit der Erteilung exklusiver Lizenzen, Unwiderruflichkeit, keine Unterstützung bei Rechtsverletzungen) gewarnt wird.
8 Auch Verwertungsgesellschaften taten sich zunächst schwer mit Urhebern, die einige oder alle ihre Werke unter einer CC-Lizenz veröffentlichten. Das hatte wohl weniger damit zu tun, dass Creative Commons als alternative Lizenzierungsform auf dem Prinzip der Kostenlosigkeit basiert und mithin dem Auftrag der Verwertungsgesellschaften widerspricht, Vergütungen zu erzielen. Der Grund war wohl eher, dass Verwertungsgesellschaften die ihnen von Urhebern eingeräumten Rechte auf exklusiver Basis wahrnehmen, so dass nach erfolgter vollständiger treuhänderischer Rechteeinräumung die Erteilung nicht-ausschließlicher CC-Lizenzen ausgeschlossen war. Zugleich vertrug sich eine individuelle Lizenzierung aller oder nur bestimmter Werke einzelner Urheber auf der Basis von Creative Commons-Lizenzen durch einzelne Urhebern nur schlecht mit dem Charakter der kollektiven Lizenzierung von Rechten durch die Verwertungsgesellschaften. Gleiches galt auch für die pauschalierte Wahrnehmung und Ausschüttung der Einnahmen aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen. Am ehesten gelang die Synchronisierung des Verwertungsgesellschaftenmodells und des Modells der Creative Commons-Lizenzen im Bildbereich, der anders als der Text- und vor allem der Musikbereich nicht durch eine flächendeckende Wahrnehmung von Rechten durch die zuständige Verwertungsgesellschaft und durch eine ohnehin weitgehend individuelle Lizenzierung von Werken gekennzeichnet ist.
9 Inzwischen sind die Creative Commons-Lizenzen jedoch ein fest etablierter Bestandteil des nationalen wie auch des internationalen Urheberrechtssystems, der den Urhebern zusätzliche Möglichkeiten der Lizenzierung und Verbreitung ihrer Werke ermöglicht und den Nutzern einen leichten, rechtssicheren Zugang zu den unter einer Creative Commons-Lizenz lizenzierten Werken eröffnet, ohne dass es dazu zusätzlicher Lizenzverhandlungen bedarf.
C. Auswirkungen auf die Gesetzgebung
10 Das Anliegen der Schaffung eines Fundus an Werken, die zur mehr oder minder freien Nutzung freigegeben sind, hat auch den Gesetzgeber nicht unbeeindruckt gelassen, der sich zuvor bereits sowohl der Open Source-Bewegung (§ 32 Abs. 3 Satz 2 UrhG) wie auch dem Open Access-Publizieren gegenüber aufgeschlossen gezeigt hatte (§ 38 Abs. 4 UrhG). Auch der Gesetzgeber ist inzwischen der Auffassung, dass die Verwendung fremden geschützten Materials zur Schaffung von kreativem user-generated Content, der auf Online-Plattformen geteilt wird, nicht durch umständliche und teure Lizenzen belastet sein soll.
11 Auf europäischer Ebene hat dem 2019 die DSM-Richtlinie dadurch entsprochen, dass Nutzer Zitate, Kritik und Rezensionen sowie Karikaturen, Parodien und Pastiches hochladen können müssen (Art. 17 Abs. 7 UntA 2 Buchst. a und b der DSM-Richtlinie). Zugleich deckt eine von einem Online-Diensteanbieter eingeholte Erlaubnis auch Handlungen nicht gewerblicher Nutzer, soweit sie mit ihrer Tätigkeit keine erheblichen Einnahmen erzielen (Art. 17 Abs. 2 DSM-Richtlinie).
12 Darüber hinaus hat der deutsche Umsetzungsgesetzgeber im Zuge der Umsetzung der DSM-Richtlinie mit § 51a UrhG von der EU-rechtlichen Möglichkeit einer Pastiche-Schranke im nationalen Recht Gebrauch gemacht. Den Begriff des Pastiche will er dabei weit verstehen, so dass „insbesondere […] Praktiken wie Remix, Meme, GIF, Mashup, Fan Art, Fan Fiction oder Sampling“ abgedeckt sein sollen (BT-Drucks. 19/27426, S. 91). Der BGH hält es mit seinen beim EuGH unter der Nummer C-590/23 anhängigen Vorlagefragen immerhin für möglich, dass die Pastiche-Schranke jedenfalls für eine künstlerische Auseinandersetzung einen Auffangtatbestand darstellen könnte, für den keine zusätzlichen einschränkende Kriterien wie das Erfordernis von Humor, Stilnachahmung oder Hommage gelten. Ob sich diese Ansicht, die in der Literatur nicht nur auf einhellige Zustimmung gestoßen ist, letztlich durchsetzen wird, muss im nimmer endenden Rechtsstreit „Metall auf Metall“ als oberste Autorität der EuGH entscheiden.
D. Zum Charakter des vorliegenden Werkes als Kommentar
13 Es mag auf den ersten Blick verwundern, dass die Herausgeber für die nachfolgenden Ausführungen zu den Creative Commons-Lizenzen die Form eines Kommentars gewählt haben. Herkömmlicherweise ist die Form des Kommentars Annotationen zu Gesetzeswerken vorbehalten, wohingegen die Ausgestaltung vertraglicher Lizenzbedingungen in aller Regel in Form von Handbüchern erfolgt.
14 Dennoch hat die Wahl des Kommentars als Format ihren guten Grund. Als flächendeckend eingesetztes, mit gleichem Inhalt und nur vergleichsweise geringen Wahl- und Variationsmöglichkeiten konzipiertes Normgefüge kommen die Creative Commons-Lizenzen in ihrem Charakter Gesetzesbestimmungen doch recht nahe. Ebenso wie bei Gesetzesnormen werfen die einzelnen Vorschriften der Creative Commons-Lizenzen Fragen zu ihrer Auslegung, ihrem Zusammenwirken und ihrer praktischen Bedeutung auf. Das rechtfertigt es, die einzelnen Vertragsbestimmungen jeweils getrennt in ihrem Inhalt und in ihren jeweiligen Querbezügen mit der gleichen Methode zu erläutern und zu annotieren, wie dies in den herkömmlichen Kommentaren zu einzelnen Gesetzeswerken geschieht.
15 So bleibt mir zum Schluss nur noch der Wunsch, dass das vorliegende Werk eine große Verbreitung finden, für die im Zuge von Creative Commons auftretenden Rechtsfragen die passenden Antworten bereithalten und auf diese Weise zur weiteren Rechtssicherheit beitragen möge.
Karlsruhe, September 2024
Prof. em. Dr. Thomas Dreier
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